von Manfred Görgens
KABARETT Das 19. Programm des Kabarettungsdienstes des Johannes-Rau- Gymnasiums bot einen gesellschaftlichen Rundumschlag in gewohnt bissiger Form.
Auch ohne die Unterstützung ihres Lehrers boten die Schüler vom Kabarettungsdienst ein überzeugendes Programm
Wuppertal. Wenn ein Rettungsdienst sich nicht selbst helfen kann, entzieht man ihm das Vertrauen. Wie aber sieht es aus mit einem „Kabarettungsdienst“? Rotes Kreuz und Spritze sind Embleme des Schülerkabaretts, das Lehrer Michael Brischke 1993 am heutigen Ganztagsgymnasium Johannes Rau als AG aus der Taufe hob. Nach 18 Programmen war Schicht für das Kabarett alter Schule, denn Brischke erlitt einen Herzinfarkt.
Fest stand: Der Kopf des Kabarettungsdienstes muss kürzer treten. Beherzt nahmen seine jungen Sanitäter das Ruder in die Hand und stemmten ein 19. Programm nahezu in Eigenregie. Am Samstag erlebte das Rettungspaket unter dem Titel „Haste mal ne Milliarde?“ in der stramm gefüllten Aula an der Siegesstraße seine Premiere.
Eine Schülergruppe in der Rolle kritisch eingestimmter Bittsteller – etwa das war die Klammer des Programms, das sich in doppelter Hinsicht der Sanierungsfrage widmete. Zum einen ging es ja um das Fortbestehen der Kabarettgruppe, zum anderen und in höherer Instanz um die Zukunft der Stadt, des Landes, des Bundes.
Die Schüler nehmen in ihrem Programm kein Blatt vor den Mund
Spaß habe es gemacht, betonen die Schüler auf mehreren Seiten ihres Programmheftes. Das glaubt man ihnen, aber dem Zuschauer bleibt doch oft das Lachen im Halse stecken. Denn der Kabarettungsdienst pflegt auch nach Brischkes Notbremsung eine Tradition, die an die bissigste Ära der Berliner „Stachelschweine“ erinnert. Hardcore statt Weichspülung, Tiefsinn statt Bauchpinselung.
WEITERE TERMINE: Der Kabarettungsdienst gastiert am 29. Oktober in der Börse und am 9. November im TiC (jeweils zum 20 Uhr). Am 19. November ist das Ensemble um 19.30 Uhr in der Färberei zu sehen, am 3. Dezember und 29. Januar im Johannes-Rau-Gymnasium (jeweils um 19.30 Uhr).Man muss was vertragen können, um sich etwa an den Schülergedanken zu integrativen Klassen nicht zu stoßen. Allerdings: Gerade Reibung ist ja das ursprüngliche Anliegen von Kabarett. In der Hinsicht kann sich mancher Profi ein Scheibchen vom Siegesstraßen-Niveau abschneiden, verkommt doch Kabarett im Wettbewerb der Einschaltquoten oft genug zur tumben Belustigungsmaschine. Die pure Freude am Machen – hier ist sie noch zu erleben, obendrein in vorbildlicher Selbstverwaltung.
Der Initiator: Herr Brischke
Michael Friedrich
Es begann 1981 mit dem Kabarett „Kothener Putzkolonne“ und wurde 1933 auf ihre Initiative hin, Herr Brischke, in den „Kabarettungsdienst“ des Gymnasiums Siegesstraße, heute Johannes-Rau-Gymnasium, Wuppertal, gegossen. Können sie sich noch an den entscheidenden Meilenstein erinnern, der ihr künstlerisches Werk ausmacht?“
„Es begann mit 14 Jahren, auch in der Schule, in Essen-Kettwig. Wir bekamen in der 10 Klasse einen neuen Klassenlehrer und wussten gar nicht, dass er einer der Mitbegründer des ersten deutschen Nachkriegskabaretts war. Der fragte uns, ob wir Lust hätten, mit ihm Kabarett zu machen. Damals hatten wir überhaupt keine Ahnung, was das überhaupt ist. Die Einheit von Autor und Spieler habe ich schnell kennenlernen dürfen, also das eigene Texten, was heute in den seltensten Fällen noch praktiziert wird, was aber immer schon große Tradition hatte. Als ich dann hier mein Referendariat in Wuppertal absolvierte, war es nur eine Frage der Zeit, Kabarett mal selber mit Schülern auf die Beine zu stellen.
Wuppertal war damals ein schwarzes Loch, was diese Kunstgattung anging, 1981 gab es da gar nichts, auch kein Publikum hierfür. Die „Kothener Putzkolonne“ war die erste Kabarettgruppe überhaupt. Hiervon gibt es natürlich auch Ableger mit ehemaligen Schülern, Kollegen an anderen Schulen folgten. 1933 wechselte ich die Schule, vom Gymnasium Kothen zur damaligen Siegesstraße“.
„Wenn jede Zeile, jede Musiksequenz oder auch Requisiten von Schülern dieses Gymnasiums stammen, bleibt denn für Sie auch noch etwas übrig? Welche Aufgaben übernehmen sie in diesem „Dienst“?
„Wenn man das in Bildern beschreiben würde, war man auf der einen Seite Geburtshelfer, also Schüler an eine solche Kunstform heranzuführen, sich auszudrücken durch politisches oder literarisches Kabarett. Es ist eine Funktion, die vielleicht mit einem Durchlauferhitzer vergleichbar ist, denn viele kommen dadurch zur Bühne. Sicherlich auch Unterstützer und Helfer, denn, eine Satire zu schreiben war fremd. Das selbstständige Arbeiten fehlte, obwohl vieles diesbezüglich auf dem Papier stand. Gerade bei solchen Herausforderungen stellte man fest, wie hoch die Defizite sind. Die Schüler sammeln Ideen, wo ich eine beratende Funktion übernehme. Manchmal sind es doch teilweise abgegriffene Entwürfe und genau hier gebe ich bei beispielsweise Hinweise auf aktuelle Zeitungsberichte, die es wert sind, bearbeitet zu werden. Ich stehe natürlich auch zur Seite, wenn es schwierig wird, passende satirische Formen zu finden. Zu entscheiden hat man, von Anfang an, ob man auf oder hinter der Bühne stehen will, den als Erwachsener spielt man doch anders, geht dem jeweiligen Problem in einer bestimmten Art auf dem Grund, die Schüler nicht so „formulieren“ würden“.
„Um welche Arbeiten handelte es sich in jenem Programm mit historischen Nummern, die während des Faschismus zum Teil in Konzentrationslagern geschrieben und aufgeführt wurden?“
„Wir machen nicht nur jährlich ein aktuelles, neues Programm, sondern spielen auch zu verschiedenen anderen Anlässen. Anlässe wie „50 Jahre Kriegsende, 50 Jahre Befreiung von Auschwitz“. Es handelt sich hier um eine historische Kabarettnummer, Autoren wie von Fink „Jedem das Seine“, ein Stück, das im Konzentrationslager entstanden ist.
Es gibt auch viele Anregungen durch das „Deutsche-Kabarett-Archiv“ in Mainz, wo in seinen Räumen eine große Sammlung von deutschsprachigen Materialien und Texten seid 1918 ist. Da haben wir gewühlt und auch Sachen gefunden, die deutlich machen, dass es im „dritten Reich“ nicht nur Unterdrückung gab, nicht nur dieses „Mitlaufen“ und „Hurra-Rufen“. Es gab natürlich auch die andere Seite, den Wiederstand, das Kabarett in Konzentrationslagern. Es gab Initiativen, die den „Zirkus Konzentrani“ gründeten, im Lager Börgermoor, wo das Lied der „Moorsoldaten“ auch entstanden ist. Das hat verhindert, letzte Ausrottungen vorzunehmen, also sehr vielen das Leben gerettet.. Auch der Kontakt nach draußen wurde über solche Veranstaltungen organisiert. Da wurden Leute des Wachdienstes eingeteilt, um dieses oder jenes zu besorgen.“
„Sie gaben 1996 im Rahmen Ihrer Tournee durch die neuen Bundesländer an dortigen Kontaktschulen in Schwerin, Dresden und Magdeburg auch Kabarett-Workshops. Wie sahen diese aus und geben Sie sie noch heute?“
„Das machen wir immer noch. Das Interesse gerade von Schulen ist sehr hoch daran, wie wir überhaupt arbeiten. Wie kommen die Schüler an Themen und Texte? Meine Schüler stellen anhand von Beispielen, die sie dem noch zu spielenden Stück entnommen haben, klar, wie sie auf diese Idee gekommen sind. Was Proben alles verändern können, indem sie die Szenen in einer Form einer nachvollziehbaren Erzählung anspielen. Seit 2 Jahren stellen wir auch einen praktischen Teil für interessierte zur Verfügung. Es werden kurze, satirische Texte entworfen, die auch sofort spielbar sind. Meine Schüler bilden kleine Gruppen, die sich wiederum den einzeln teilnehmenden Gruppen an die Seite stellen und nach etwa 20 Minuten liegen schon erste kleine Textbausteine vor. So kann man sich die Arbeit besser vorstellen, indem man sich mit ihr auseinandersetzt Es bleibt nicht nur beim Bleistiftkauen oder anstarren eines leeren Blattes. Meine Erfahrungen in den verschiedensten Lehrer-Fortbildungen, die die Bereiche Theater und Kabarett inhaltlich abdecken, wo ich also ausbilde, oder man mich auch in Literaturkursen an dem Gymnasien finden kann, also in Kreativ-Kursen der Oberstufe , werden dort eingebracht und auch umgesetzt.“
„Wenn ich mir ihre Marathon an Tourneen und Auftritten ansehe, von „Nebenwirkungen“ 1995, Ihrem ersten Programm, über „Alarmhallen“ 1997 der Hauptfeuerwache in Wuppertal bis zum Jahr 2000, den „Eine-Welt-Wochen“, gab es auch mal Ruhepausen oder woraus schöpfen Sie ihre Energie?“
„Da der neue Schulleiter des Gymnasiums Siegesstraße, mich lange darum gebeten hat, doch weiterzumachen, gab es da wenige Auszeiten. Ruhe kann man nicht selten in den Textphasen finden, wenn das Programm einmal steht und ein oder zwei Aufführungen stattgefunden haben, ist daraus seid vielen Jahren ein relativ geruhsames Geschäft geworden. Öffentlichkeitsarbeit, Vorbereitung und Organisation werden zur Routine. Nicht zu unterschätzen war und ist die Kreativität, die ich aus meinen Arbeiten schöpfen kann und so zur innerlichen Ruhe finde. Lücken gab es aber trotzdem nicht. Kabarett auf der Bühne insgesamt hat wahrscheinlich auch was von Drogen“
„Ist da vielleicht jemandem der Erfolg zu Kopf gestiegen, wenn z.B. die Presse in Hechingen schrieb, dass ihr „Rettungsdienst“ eine echte Alternativ zum einschläfernden „TV-Scheibenwischer“ wäre?“
„Es gibt nur wenige Schüler auf die man diesbezüglich achten muss. Die also die ersten beiden Zentimeter abheben und man ihnen auf den Zeh treten muss, damit sie unten bleiben. Da gibt es natürlich auch journalistische Übertreibungen, denen ein wenig das Lockere fehlt. Der überwiegende Teil schließt sich eher meiner Bescheidenheit an. Wenn man sich ganz bewusst als Kabarettist in die Rolle des Besserwissers als Bühnenform begibt, bekommt er so etwas nur hin, wenn dieses mit einer ziemlich großen Bescheidenheit gepaart ist.
Harald Schmidt, der in seinen früheren Sendungen ja politisches Kabarett machte, jedoch jetzt manchmal in seinen eigenen Sendungen alles andere als Bescheiden wirkt. Dies sind die Stellen, wo viele, die dieses Genre kennen sagen: Jetzt wird es schwierig! Didi Hallervorden als Gegenbeispiel ist nach verschiedenen Exkursen wieder zurückgekommen, zum politischen Kabarett und dadurch auch zu mehr Bescheidenheit. Also, statt den Zeigefinger nach oben zu schrauben, sollte man diesen auf sich selbst richten, denn der Dreck liegt auch vor meiner Haustür.“
„Nun zu den Arbeiten: wer schreibt, mit welcher Philosophie, welchem Herzblut und wer komponiert die Gesangsstücke?“
„Schreiben tun alle. Hinterher spielen auch alle mit. Das ist das besondere, weil zu jedem Programm auch wieder neue Spieler dazu kommen, da andere wegen Abitur ausscheiden, sodass die Prägung der Stücke durch den Wechsel der Autoren oftmals eine andere Färbung bekommt. Die Komposition übernehme ich, indem Melodien auf die schon fertigen Texte gesetzt werden. Schüler, die sich dafür interessieren, nehme ich natürlich hinzu. Das Klavier ist dabei mein Begleiter, der klassische Begleiter des Kabaretts. Musik ist das Salz zu den Stücken.“
„Herr Brischke, wir wünschen Ihnen für die nächsten Jahre erst einmal Gesundheit auf den Brettern, die das Leben bedeuten und den erfolg, wie die Auszeiten, die zu eine Balance führen, die diese Stücke auszeichnen. Danke!“
„Die Straße“, Das Straßenmagazin für das Bergische Land, Nr.191, Oktober 2010
Der "Kabarettungsdienst" spannt den Rettungsschirm für Wuppertal auf. Die Kabarett-Truppe vom Johannes -Rau-Gymnasium stellt ihr 19. Programm „Haste mal ne Milliarde?“ am Freitag, 29. Oktober, um 19.30 Uhr in der Börse an der Wolkenburg vor. Mit selbst verfassen Texten nehmen die Schüler aktuelle Absurditäten und Kuriositäten wie die Sparmaßnahmen der Stadt Wuppertal – unter anderem besungen in einer neuen Version des „Bergischen Heimatliedes“ - aufs Korn. Thematisiert wird, warum es immer gute Gründe gibt, nichts gegen den Klimawandel zu tun. Es gibt unter anderem Antworten auf die Fragen: Wem helfen eigentlich Spendengalas wirklich? Warum viele auf Sozialleistungsbetrüger richtig sauer sind. Warum wir nichts gegen Behinderte an allen Schulen haben – es sei den...? Der Abend wird mit viel Live-Musik garniert. Karten gibt es über das Internet. www.dieboerse-wtal.de