Schüler des Gymnasiums Siegesstraße präsentierten ein neues Programm des „Kabarettungsdienstes".
Von Susanne Bien
Wuppertal. Mit der Übergabe eines Schecks von 2400 Mark an amnesty begann der Kabarettabend im Gymnasiums Siegesstraße: Beim Festival im Mai im Forum Rex (20 Jahre Kabarett in Wuppertal) waren Überschüsse erwirtschaftet worden. Noch etwas zaghaft traten dann wird viel neuen und wenigen alten Akteure des Kabarettungsdienstes auf die Bühne und eröffneten das 9. Programm unter dem Titel "LeiDkultur oder Lightkultur".
Amerika und Europa wurden in einigen Nummern schonungslos ins Visier genommen. Das Programm wurde in den letzten Wochen nicht geändert. Erst am Ende des ersten Programmteils stellten die Schüler aktuelle Fragen zu der unzivilisierte Welt (wer ist das?) und machten am Ende mit einer alten Nummer als Zugabe einen „Feindbildbaukasten" anschaulich. Das Publikum reagierte zunächst zurückhaltend auf die Kritik, z.B. an den besten Marketing Strategien von Sony Entertainment, Time Warner und Virgin Interaktive, die aus einem Paradies von Moral und Ethik ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten und unmöglichst Werte machen.
Grölendes Gelächter gab es hier nicht, eher genaues Hinhören und Nachdenklichkeit.
Ihrer Schule verpassten sie für das Jahr 2031 den Namen „Gymnasium Abendfrieden", wo Schüler über den normalen Unterrichtsstoff hinaus den natürlichen Umgang mit Senioren lernen.
Uldus Khaliallafi schrieb einen Song über das „Andererseits" und über gefährliche Situationen für sie als dunkelhäutige Frau. Sebastian Rüdiger überzeugte mit der Beilage vom traurigen Soldaten (Musik Regisseur Michael Brischke) und machte auch als „Daxi", dem hellsten Stern am Börsenhimmel, eine gute Figur. Friederike Lohr und Mareike Schumacher berichteten von einem Experiment, als lesbisches Paar öffentlich aufzufallen und der deutschen Leitkultur nicht zu entsprechen. Auch die SMS-Sprache, in der in Ausschnitten Erlkönig und Faust vorgetragen wurden, bereiteten jedem Germanisten wohl Höllenqualen.
▀ Weitere Termine am 28. September und im Dezember in der Siegesstraße und außerdem Termine im Oktober auf anderen Bühnen in Wuppertal und in anderen Städten.
„Westdeutsche Zeitung“ Wuppertal, 24.9.2001
Viel zu lachen hatte das Publikum mit der Kabarettgruppe des Wuppertaler Gymnasiums, die in der Gesamtschule Lehrerkollegien aufs Korn nahm. Wafi-Bild
Schüler nehmen im Kabarett veraltete Lehrerkollegien aufs Korn
Mal schrill und bunt, mal leise und nachdenklich - so präsentierte sich der „Kabarettungsdienst" des Gymnasiums Siegesstraße/Wuppertal am Freitagabend 150 Besuchern in der Aula der Gesamtschule Welper.
In ihren mittlerweile neunten Programm „LeiDkultur oder Lightkultur" nimmt die elfköpfige Kabarettgruppe sowohl das politische Weltgeschehen als auch schulinterne oder schlichtweg menschliche Probleme auf die Schippe.
Zu Beginn des Programms befinden sich drei alte Greise auf der Bühne, einer im Rollstuhl, um während eines Infoabends zukünftige Fünftklässler für das „Gymnasium Abendfrieden" zu gewinnen. Die stellvertretende Direktorin Tattermann macht ihrem Namen durch extrem zittrige Bewegungen alle Ehre. Das scheinbar vergessene Gebiss unterstreicht ihr nicht mehr ganz so jugendliches Alter.
Auf die Vorzüge des Gymnasiums, an dem sich seit zwanzig Jahren nichts mehr verändert hat, machen die drei Lehrkräfte aufmerksam. Neben Alten- und Krankenpflege, können die Schüler auch eine Ausbildung zum staatlich geprüften Präparator absolvieren. Durch eine äußerst gelungene schauspielerische und ideenreiche textliche Leistung.
nehmen die Schüler die an vielen Schulen veralteten Lehrerkollegien aufs Korn.
Ideenreichtum beweisen die Schüler auch in der Auswahl ihrer Kostüme, die die Aussagekraft der abwechslungsreichen Programmpunkte unterstützt.
Sprache mit Spaß und kurzen Gedichten
Da muss sich einer der männlichen Akteure schon mal im bauchfreien Top vors Publikum wagen oder die ganze Truppe kommt als Rindviecher verkleidet auf die Bühne gekrabbelt, um über die Zukunft der BSE-Kühe zu sinnieren.
In "Sprache mit Spaß" bekommen schließlich auch der selbsternannte Literaturpapst Marcel Reich Ranicki sein Fett weg, indem er sich für eine neue Form des Gedichtvortrags ausspricht. Durch das Weglassen einiger Buchstaben würde ein Gedicht viel kürzer und spräche somit auch die Jugend an, so seine Meinung. Das in dieser Art vorgetragene Gedichte "Erlkönig" belohnt das Publikum mit spontanem Applaus.
Der "Kabarettungsdienstes" zeigte mit seinem Programm eine intelligente und äußerst amüsante Form des Schülerkabaretts, was das Publikum mit großem Beifall würdigte
Westfälische Rundschau, Hattingen 12.11.01
Kabarett zu Zeiten der Kohlära - das "Feindbild" war eindeutig und bot Stoff für tausend Programme. Nun, da alles zur neuen Mittel drängt und Politiker-Statements ebenso von DJs stammen könnten, holt auch das politische Kabarett zum Rundumschlag aus. Zwar hat der Wuppertaler Kabarettungsdienst das Merz'sche Unwort in den Titel gehievt, aber er widmet sich in "LeiDkultur oder Lightkultur" insgesamt doch dem schwarz-rot-grünen Fähnlein im Winde - und denen, die hissen oder schwenken.
Elf Personen, darunter sieben Neuzugänge, bestreiten die 15 Nummern dieses neuen, neunten Programms. Für eine abwechslungsreiche und temporeiche Darbietung ist somit schon mal gesorgt. Ebenso wie die Musik und die Texte
sind auch die meisten Requisiten sowie das Text- und Programmheft self-made, und das ist der so ziemlich einziger Knackpunkt: Ein professionelleres Drumherum würde dieses gehaltvolle Programm nochmals aufwerten. Aber gut, ein Schülerkabarett hat weder Zeit noch Geld im Überfluss. Inhaltlich geht dafür um so mehr die Post ab. Jenseits der voll-krass-
Comedy und Blödelparaden stürzt sich der Rettungsdienst auf gesellschaftliche,
politische und wirtschaftliche Themen, mal nachdenklich, dann wieder einfach nur schreiend komisch. Friederike Lohr ist für das neue Ensemble eine echte Bereicherung, mimt den deutschen Deppen an der EU-Tauschbörse genauso souverän und witzig wie die durchgeknallte Moderatorin in „Voll geil, ey" - einer Nummer, die sich mit der Jugendsprache beschäftigt. Kabarettungsdienst-Oldie Sebastian Rüdiger glänzt in der „Ballade vom traurigen Soldaten", in der ein Bundeswehrsoldat vom Auslandseinsatz träumt: „Wenn schon Krieg, dann aber richtig / Ab zur Front geht der Marsch / Im Offshore-Einsatz bin ich wichtig / Denn zu Hause da bin nicht nur der Arsch". Aber auch die anderen neun Kabaretter können in den meisten Nummern überzeugen. Stücke wie „Andererseits" oder auch „Wir sind ja sooo ..." sind sicher etwas langatmig, dienen aber auch als Verschnaufpause, um sich etwa in "SMS - Sprache mit Spaß" einer Parodie des literarischen Quartetts wieder voller Aberwitz hinzugeben. Darin sorgt Kai Stiens als Marcel Reich-Ranicki schon für dezentes Zwerchfellbeben, aber mit der vorgetragenen Version einer Erlkönig-SMS schießt die Truppe dann endgültig den Vogel ab.
Jörg Degenkolb
„Coolibri“, Dezember 2001